Stimmungsbericht

von Kai Riemann

Da das hier im Internet veröffentlicht werden soll, zunächst mal für Aussenstehende all around the world: Bei uns in Balve gehört das Schützenfest, gefeiert an jedem dritten Wochenende im Juli, zu den Höhepunkten des Jahres. Das wird bei allen anderen Schützenbruderschaften und -vereinen auch der Fall sein, jedoch haben wir in Balve etwas ganz besonderes, was grossen Einfluss auf die Qualität des Festes für Einheimische und Besucher hat: Eine Höhle. Nein wirklich, kein Scherz. Eine Höhle, die dermassen gross ist, dass man prima darin feiern kann. Eine Höhle, die durch finanzielles und persönliches Engagement der Bruderschaft in Schuss gehalten wird. Mehr Informationen zur Balver Höhle:

www.balver-hoehle.de

Das Schützenfest beginnt am Samstag und dauert drei Tage. Während sich die Aktiven der Bruderschaft vor und während des Festes ordentlich ins Zeug legen, damit das Fest gelingt – und es gelingt immer – hat ein normaler Schützenbruder wie ich eigentlich nur eine Aufgabe: Drei Tage lang zu feiern. Das kann, wie man sehen wird, allerdings auch sehr anstrengend werden…

Los geht’s wie gesagt am Samstag. Schon vor dem Antreten herrscht prima Stimmung bei den Schützenbrüdern, ein paar Pils als Wegzehrung, Marsch durch die Stadt und dann zur Höhle. Dann des Schützenbruders liebster Augenblick: Einmarsch in die Höhle unter den Klängen des Höhleneinzugsmarsches. Was den kennen Sie nicht? In Balve kennt ihn jedes Kind, außerhalb heißt er Margaretenmarsch aus der Oper Faust von Charles Gounod. Donnernder Applaus, Zugabe. Begrüssung durch den Vorsitzenden, ein Hoch auf Bruderschaft und Schützenkönig, Ehrungen und dann zur Theke in den linken Höhlenarm. Richtig, es gibt auch einen rechten, aber ich feiere im linken.

Es ist später nachmittag, die Schützenbrüder sind noch unter sich. Das erste Bier in der Höhle, das zweite, man unterhält sich und freut sich auf das, was noch kommt. Dann füllt es sich schnell, der erste Höhepunkt des Festes steht bevor: Grosser Zapfenstreich. Feierlich, beeindruckend, auch wenn manche Zeitgenossen während der Zeremonie den Mund nicht halten können. Wahrscheinlich Ehemänner, die das ganze Jahr nichts zu sagen haben…

hoehlefahnen

Anschliessend wird es voll, sehr voll. Stimmengewirr, Lachen, Gläserklirren, Musik – die besondere Atmosphäre der Höhle. Bekannte, die man übers Jahr nicht gesehen hat, tauchen auf, extra zum Schützenfest angereist. Und sie haben noch ein paar Leute mitgebracht, um ihnen zu zeigen, wie bei uns gefeiert wird. Hallo, wie geht’s und prost. Alte und neue Geschichten werden erzählt, das Bier fließt in Strömen und wo man hinsieht: Gute Laune, beste Stimmung, lachende Gesichter.

Plötzlich verändert sich was, die Leute springen auf Tische und Bänke, bilden Kreise, haken sich unter. Das kann nur bedeuten: Die Musik ist im Anmarsch, will noch eins draufsetzen. Es wird geschunkelt und gesungen und gesungen und geschunkelt und alle, aber wirklich alle, machen mit. Ich schmettere Lieder, von den ich gar nicht wusste, dass ich sie kenne. Hohe Tannen, Schützenliesel, das Hofbräuhaus, der schöne Tag, der nie vergehen dürfte, das Bier, das es auf Hawai nicht gibt… das ganze Repertoire eben. Und natürlich das Lied vom Franz, dem das Bier auf der Vogelwiese so zugesetzt hat.

Nachdem sich die Begeisterung wieder etwas gelegt hat, versuche ich in Richtung Ausgang zu entkommen, da mich brennend interessiert, ob die alljährliche Singleparty auf der Herrentoilette wieder stattfindet. Vorbei an der langen Schlange vor der Damentoilette (was dauert da so lange?), dann scharf rechts abgebogen und richtig: Lauter Damen bei den Herren.

Leichte Rangeleien um frei werdende Kabinen. Mein Hinweis, dass für Damen nebenan sei, wird mit der Bemerkung angeblich fehlender Damentoiletten ignoriert.

Ich versuche, wieder den linken Höhlenarm zu erreichen, schaffe es aber nur bis zur Tanzfläche, wo ich zum Tanz genötigt werde. Der Hinweis, dass die Tanzfläche eigentlich schon arg voll ist, wird irgendwie überhört. Die Musiker sind wie immer bestens in Form. Ich nicht. Und so sehe ich zu, dass ich bei passender Gelegenheit doch noch meinen Lieblingsstandort erreiche. Hier wird noch bis in die Früh gefeiert, dann geht’s bei leichtem Seegang nach Hause. Denn weiter geht’s am…

zugmitreiter

…Sonntag nachmittag mit dem Antreten der Kompanien, dem Grossen Festzug durch die Stadt und dem imposanten Einzug in die Balver Höhle. Und wieder: Donnernder Applaus für den gelungenen Einmarsch, Zugabe, mehrmaliges Hoch auf Bruderschaft, König und Hofstaat. Während der anschliessenden Festreden mache ich die Beobachtung, dass die Theke im linken Höhlenarm der eine Pol sein muss, zu dem ich der Gegenpol bin, denn sie zieht mich geradezu magisch an. Das ist gegenüber den Festrednern vielleicht nicht gerade höflich, aber gegen die Naturgesetze bin ich machtlos. Einige andere offensichtlich auch.

Noch sind fast alle Tische frei und so setze ich mich. Der Blick geht durch die Höhle, vorbei an den Fahnen am Höhleneingang auf die Linde vor dem Hintergrund eines tiefblauen Himmels.

Die Festredner sind fertig und Schützenbrüder und Besucher verteilen sich in der Höhle. Sonntag ist Familientag. Viele Mütter, viele Väter, viele Kinder. Das Patenkind strahlt mich an und strahlt wenig später um einen grösseren Schein reicher wieder ab. Richtung Festplatz. Die Väter suchen sich einen vermeintlich sicheren Platz, prosten sich zu und vertiefen sich ins Gespräch. Der Versuch, jeglichen Blickkontakt zu den Müttern zu vermeiden hilft auf die Dauer nichts, so dass sie bald darauf mit gequälter Miene und den Kindern im Schlepp ebenfalls Richtung Festplatz verschwinden. Karussell, Autoscooter, Schiessbude. Kinder machen das gerne, Väter offensichtlich nicht.

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Nicht nötig zu erwähnen, dass das Pils mittlerweile wieder schmeckt. Der Nachmittag vergeht bei Musik, Unterhaltung und, um ein paar Kindheitserinnerungen aufzufrischen, mehreren Fahrten mit Patenkind und Autoscooter. Um einiges an Geld ärmer und um zwei schmerzende Schienbeine reicher geht’s dann wieder in die Höhle. Hier erwarten mich wahre Kinderhorden, die sich zwischenzeitlich mit Wasserpistolen und Plastikschwertern eingedeckt haben. Das macht die Sache zwar etwas unruhig, aber was soll’s, ich verschanze mich hinter meinem Bier. Der Kindertanz verschafft etwas Luft und kurz darauf verschwinden die meisten Unruhestifter. Die Väter atmen auf.

In der für das Schützenfest typischen Geselligkeit verläuft der Sonntag abend. Irgendwann heisst es: Richtung Heimat denn am…

… Montag verlangt es die Tradition, sich den Schlaf etwas früher aus den Augen zu reiben. Nach dem Wecken durch die Festmusik heisst es Antreten zum Kirchgang. Nach der Messe ein kurzes Frühstück, sodann Abmarsch zur Vogelstange zum Ausschiessen des neuen Schützenkönigs. Das dauert seine Zeit. In der Höhle ist derweil Konzert.

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Montag ist eigentlich der Tag der Balver. Viele haben sich Urlaub genommen, Geschäfte, Banken und Behörden schliessen schon früh am Vormittag, damit der letzte Tag des Schützenfestes gemeinsam gefeiert werden kann.

Und gemeinsam heisst: Jeder feiert mit jedem. Altersunterschiede, Staatsangehörigkeit, politische Überzeugungen, Konfessionzugehörigkeiten oder ähnliches spielen kaum eine Rolle. Es herrscht eine ganz eigene Harmonie. Und das Bier schmeckt schon am Vormittag. Den meisten jedenfalls.

Irgendwann verbreitet sich dann die Nachricht, wer den finalen Schuss getan hat und es somit geworden ist: Der neue Schützenkönig.

Dieser wird kurz darauf mit seiner Königin vom Schützenvolk begeistert in der Höhle empfangen. In einer am Vormittag schon randvollen Höhle. Anschliessend wird das Ereignis gebührend gefeiert.

Und zwar den ganzen Tag, bei flotten Rhythmen, bei viel Bier und viel Unterhaltung. Und bei einer Stimmung, wie sie typisch und einmalig für die Höhle ist. Sagte ich den ganzen Tag? Natürlich bis in den frühen Morgen.

Tja, das wars schon wieder. Aber was soll’s? Nächstes Jahr gibt es wieder ein Schützenfest und bis dahin gibt es die Vorfreude auf das Schützenfest.

Wir sehen uns. Im linken Höhlenarm…

kai